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Volunteering

Guatemala: Emotionen pur

02. Dezember 2019
Guatemala ist ein Land mit einer faszinierenden Kultur und einer lebendigen Geschichte. Die geheimnisumwobene antike Maya-Zivilisation blühte hier vor etwa 4000 Jahren und hinterliess eine beeindruckende Architektur und symbolische Kunstwerke, die bis heute faszinieren. Doch heute ist das Leben sehr hart, vor allem für die Ärmsten des Landes. Guatemala hat eine der höchsten Ungleichheitsraten Lateinamerikas, sowohl in städtischen als auch in ländlichen Gebieten. Zwei Drittel der Bevölkerung Guatemalas leben von weniger als zwei Dollar pro Tag. Die audiologische Versorgung ist extrem eingeschränkt, es gibt nur eine einzige Audiologin im ganzen Land: Dr. Paty Castellanos, Gründerin der Stiftung «Sonrisas que Escuchan» («Lächeln, die hören»).
Im vergangenen September besuchte ich das Land auf meinem ersten Volunteer-Einsatz für die Hear the World Foundation, die Paty und die Arbeit ihrer Stiftung im ganzen Land unterstützt. Diese Erfahrung war unglaublich bewegend und bestätigte mir, wie wichtig es ist dafür zu sorgen, dass kein Kind auf der Welt durch einen unbehandelten Hörverlust eingeschränkt wird. Deshalb war ich begeistert, dass ich bei meinem erneuten Besuch in Guatemala im Mai 2019 ein Team von vier Sonova-Volunteers leiten durfte, darunter Dr. Eva Lopez, eine amerikanisch-guatemaltekische Audiologin, die für Advanced Bionics arbeitet, Dr. Christiane Basilio von Connect Hearing aus Kanada, Ira Pisulla von Geers aus Deutschland und Stefani Verbist von Laperre aus Belgien.

Die Freude am Hören

Am ersten Tag reisten wir durch Guatemala-Stadt zum CEDAF Centre, die audiologische Privatklinik von Paty Castellanos. Paty stellte grosszügig den Platz in ihrer Klinik zur Verfügung, damit die Anpassungen der durch die Hear the World Foundation gestifteten Hörgeräte durchgeführt werden konnten. Es war ein emotionaler und inspirierender Start für das Team. Wir konnten aus erster Hand miterleben, wie Kinder reagieren, die das erste Mal in ihrem Leben hören können!

Eine Mutter, die zu uns kam, bemerkte bei ihrem Sohn eine schwache Sprachentwicklung, als er zwei Jahre alt war. Doch erst im Alter von sieben Jahren und nach einigen Jahren Sprachtherapie wurde bei Joshua schliesslich ein Hörverlust diagnostiziert. Als Joshua zur Anpassung in die Klinik kam, war er sehr ruhig, sogar als Eva Lopez zum ersten Mal sein Hörgerät einschaltete. Eva rief mehrmals seinen Namen. Joshua blieb ganz ruhig, dann brach er in Tränen aus und liess sich von seiner Mutter umarmen. Das waren Freudentränen! In diesem sehr bewegenden Moment konnte niemand im Raum seine Emotionen zurückhalten. Wenige Augenblicke später lächelte uns Joshua an und wiederholte immer wieder: «Bien, bien, bien!» («Gut, gut, gut!»). Joshuas Reaktion war herzerwärmend und zeigt, wie schwer es für ein Kind sein kann, in einer Welt der Stille zu leben.
 

Zuhören und lernen

Am nächsten Tag reisten wir an den Stadtrand von Guatemala-Stadt zu einer grossen Schule. Über 1000 Kinder sind in dieser Schule eingeschrieben und wir wollten bei möglichst vielen das Gehör testen. 35 Kinder wurden mit Verdacht auf Hörverlust an die CEDAF-Klinik überwiesen.

An unserem dritten Tag fuhren wir zu einem Kindergarten einer Wohltätigkeitsorganisation. Diesen besuchen Kinder alleinerziehender Mütter, die auf dem Markt und in Geschäften in der Umgebung arbeiten. Die Kinder hier sind zwischen zwei und drei Jahre alt, also haben wir das Gehör der Kinder mithilfe von Play Audiometrie getestet. Es war ein aufregender Tag. Die Kinder haben sehr gut mitgemacht und grinsten buchstäblich über beide Ohren!
 

Hilfe für die Gemeinschaft

Die letzten beiden Tage verbrachten wir in einem abgelegenen ländlichen Ort namens Chimaltenango. Dort war es ruhiger und die Einheimischen trugen traditionelle Maya-Kleidung. Die Lebendigkeit, die wir hier erlebten half uns, die tief verwurzelte Kultur dieses schönen Landes und seiner Menschen besser zu verstehen.

Bei unserer Ankunft in der Klinik wurden wir schon von einer kleinen Gruppe wartender Einheimischer begrüsst. Sie wussten bereits seit einigen Monaten, dass ein internationales Team die Gegend besuchen würde, und wir konnten ihre Begeisterung spüren. Für die Durchführung der Hörtests nutzten wir ein stillgelegtes Krankenhaus. Es war perfekt geeignet – es war ruhig und es gab mehrere Untersuchungsräume. Über 100 Personen kamen, von denen 26 mit Hörgeräten ausgestattet wurden, die von Kunden von Connect Hearing in Kanada und Boots Hearingcare in Grossbritannien gespendet wurden.

Dieser Tag war eine grosse Herausforderung für mich, da ich nur wenig Spanisch sprach und die Einheimischen eine Maya-Sprache sprachen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten konnte ich aber doch die Hörtests und die Anpassung der Hörgeräte erfolgreich durchführen. Es war unglaublich bewegend, die Wertschätzung der lokalen Gemeinschaft für unsere Arbeit zu sehen. In der Mittagshitze haben sie draussen ein köstliches Mittagessen für das gesamte Team vorbereitet und uns die Möglichkeit gegeben, selbst Tortillas herzustellen.
 

Eine Mission fürs Leben

Da dies meine zweite Freiwilligenmission in Guatemala war, dachte ich, ich wäre diesmal für alles gewappnet. Doch ich fand mich während der ganzen Woche mit immer neuen und anderen Herausforderungen konfrontiert, von schwierigen Anpassungen über anspruchsvolle Hörtests bis hin zur Übersetzung in drei verschiedenen Sprachen. Aber es war auch eine grosse Chance und eine Ehre, mit dem fantastischen lokalen Team zusammenzuarbeiten, das alles sorgfältig geplant hatte, und den unglaublichen Freiwilligen im Team.

Ich bin so stolz auf die Arbeit, die die Hear the World Foundation leistet. Ohne sie würde Hunderten von Kindern das Hören und die Möglichkeit zu Lernen verwehrt bleiben. Aber es gibt immer noch sehr viel zu tun. Die Ausdauer und die Entschlossenheit der Menschen in Guatemala haben mich inspiriert, weiterhin als Freiwilliger zu dienen und das Bewusstsein zu schärfen, indem ich meine Geschichten mit Familie, Freunden, Kollegen und Kunden teile. Die Zeit, die ich in Guatemala verbracht habe, hat meine Sichtweise auf das Leben verändert, und ich bin sehr dankbar für alles was ich habe. Ich habe erkannt, dass meine Lebensmission darin besteht, denen zu helfen, die nicht dieselben Möglichkeiten wie ich haben.
Mehr über das von der Hear the World Foundation unterstützte Projekt